In Anne Wissmanns Arbeiten tritt uns auf den ersten Blick das Tier als Skulptur entgegen.
Verweilt man länger und lässt sich auf die beinahe filmische Atmosphäre ein, die diese beharrenden und beharrlichen Figuren
ausströmen, gewinnt man den Eindruck, es gehe um etwas sehr viel Allgemeineres: um Kreatürlichkeit oder gar Wesenhaftigkeit.
Ein skulpturales Motiv etwa ist die Vervielfältigung oder umgekehrt: die Beschränkung anatomischer Gliedmaßen. Indem die
Körper der Tiere mehrere Köpfe haben, scheint sich die Empfindungs, Lebens, –oder auch Leidensfähigkeit jener Wesen zu
potenzieren.
In anderen Skulpturen ist den Tierwesen der Kopf genommen. Sie können zwar Wärme, Kälte oder mechanische Reize
empfangen, diese aber nicht in einen -wie wir es nennen würden- “kognitiven” Prozess integrieren.
Immer aber wirken jene Wesen merkwürdig autonom, so als umschlösse und verströmten sie ein gleichmäßiges, ruhiges weißes
Rauschen. Sie wirken in sich ruhend, friedlich, demütig und ganz anwesend und einfach und in diesem Moment gegenwärtig.
Diese stoisch und beharrlich in sich ruhenden Geschöpfe scheinen in ihren Beschränkungen, oder besser: durch ihre
Beschränkungen (oder auch durch ihre “Verwachsungen” wie in den Reiter-Standbildern) etwas sehr viel Allgemeineres
aufsteigen zu lassen: die Frage nach dem Versehrten und die Frage nach dem Unversehrten, die Ahnung von eben jenem, das in
einer Geschichte, die, wie sie ist, und wie sie war, nurmehr erahnt werden kann.
Eben in jenem Ahnen liegt die poetische Kraft von Anne Wissmanns Tiergeschöpfen.
Christoph Korn