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 die Schienbeine liegen plan auf dem Fußboden. Die Knie sind angewinkelt, zwei Oberschenkel enden als Stutzen. Aus
diesem Fragment einer Knieenden erhebt sich eine zweite Frau, eine Hockende. Sie steckt in den angeschnittenen Beinen wie
in Stiefeln. Oder ist es doch eine einzelne Figur in zwei Bewegungsphasen? Eine Akrobatin tanzt Marcel Breuer.
Ist das Möbel als Metapher der Lebensumstände zu verstehen, die dem Individuum seine Gestalt und Haltung, sein Wesen
aufprägen? Ist der Mensch in kafkaesker Verwandlung selbst zum Möbel geworden? Erhält die Skulptur damit auf einmal
einen Nutzwert für die Welt und ist nicht mehr nur ästhetisches Objekt: „Darf ich mich setzen?“ – „Aber man setzt sich doch
nicht auf einen Menschen!“ Zwei Schritte weiter, und diese Überlegungen verfliegen in einem neuen Eindruck.
Paradoxerweise bietet der Rücken der Figur dem Betrachter die Stirn.
Eine kleine geneigte Gesichtsmaske krönt „Sitzende 2“, die sich ansonsten aus den gleichen Bausteinen zusammensetzt wie
„Sitzende 1“. Mit dem Unterschied, dass hier die Beinstümpfe nicht unter der Figur liegen, als Möbelfuß dienen, und die S-
Kurve des Freischwingers abschließen. Die Beine wurden um eine halbe Drehung verlagert. Unsichtbar über diesen Beinen
wächst der Oberkörper einer zweiten Frau (kann man umhin, diese Luftskulptur zu imaginieren?). Sie kniet in Demut vor der
Sitzenden, die spiegelgleich in Demut zu ihr herabblickt. Eine Gunsterweisung, eine Bitte um Verzeihung. Ein Figurenpaar,
das von Trauer und Trost erzählt. Zwei Figuren, die in ihren Körpern und ihrem Fühlen untrennbar zu einer Einheit
verwachsen. Was, wenn sich solch eine Anatomie zu erheben versuchte? Die Gelenke, die doch Mensch und Tier zu
Bewegung und Freiheit verhelfen, würden es dieser Gestalt unmöglich machen aufzustehen und sich aufrecht zu halten. Man
spürt förmlich, wie sie zusammensacken würde. Denn die Haltung, die die Künstlerin ihrer Figur zugedacht hat, ist die
einzige, in der sie bestehen kann.